Warum Homöopathie nicht länger durch Gesetzliche Krankenkassen erstattet werden sollte

Juli 2022, von Natalie Grams-Nobmann

Die Homöopathie ist eine der bekanntesten und beliebtesten ,alternativ’-medizinischen Verfahren  Und das, obwohl sie den wissenschaftlichen Beleg, dass sie eine klare Wirkung über immer auftretende Kontexteffekte (wie den Placebo-Effekt) hinaus aufweist, schuldig bleibt und weiter bleiben muss, da ihre unplausiblen Grundannahmen nichts anderes erwarten lassen. Trotzdem wird die Homöopathie per Gesetz zum Arzneimittel erklärt – ein Systembruch. Als nicht verschreibungspflichte Mittel sind sie von den Regelleistungen der Krankenkassen zwar ausgeschlossen (ausgenommen für Kinder bis 12, in besonderen Fällen bis 18 Jahre). Aber auch hier gibt es ein Schlupfloch von Gesetzes wegen: die freiwilligen Satzungsleistungen. Was die Krankenkassen sich zu Nutze machen, weil ihnen die Beliebtheit der Homöopathie wohl gut ins Marketingkonzept passt. Sie erscheinen „modern“, „cool“ und auch den „Kundenwünschen“ nach „alternativen Ansätzen“ und deren Beliebtheit gegenüber „offen“. Die Kassen stellen sich damit als attraktiv für junge, gutverdienende und sicherlich auch gesundheitsbewusste Menschen dar, die nicht schwer oder gar chronisch krank sind, denn offenbar hilft Homöopathie und damit der Placebo-Effekt ihnen ja genug. Das bedeutet für die Kassen sogenannte „gute Risiken“ und stabile Beitragseinnahmen und die homöopathieaffinen Patient*innen, die die Homöopathie in Anspruch nehmen, fühlen sich gut aufgehoben. Eine Win-Win-Situation? Keineswegs. Bezahlen müssen dies alle Beitragszahlenden, da die Krankenkassen – einschließlich der Satzungsleistungen – insgesamt solidarisch finanziert werden. Das finden wir so nicht länger tragbar. Und das ist nicht das einzige Problem bei der Kassenerstattung von Homöopathie. 

Eröffnet wurde den Kassen die Option der Homöopathie-Erstattung 2012 unter dem FDP Gesundheitsminister Daniel Bahr, der den Katalog der Satzungsleistung stark erweiterte, auch um den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu erhöhen. Ein Wettbewerbsvorteil mag die Homöopathie immer noch sein, wissenschaftlich belegter wird sie dadurch nicht. Und die Sinnhaftigkeit von Wettbewerb zwischen Kassen, die alle einem gemeinsamen Solidarsystem angehören, ist auch begrenzt. So lange es um Effizienzsteigerungen ging, war das in Ordnung. Aber ein „Leistungswettbewerb“ mit zweifelhaften Angeboten, das ist hinterfragbar. Wo geht es noch um Synergien und Effektivität und den gesundheitspolitischen Auftrag der Kassen, wo gräbt man sich einfach nur gegenseitig das Wasser ab – innerhalb eines gemeinsamen Systems? Eine gesetzliche Krankenkasse ist nun mal kein Warenhaus.

Denn nicht nur in den aktuell angespannten Zeiten und nicht nur unter dem Druck der finanziellen Schwierigkeiten bei den Krankenkassen und im gesamten Gesundheitssystem sollte klar sein, dass wir Solidargeld nicht für nachweislich Unwirksames ausgeben sollten. Ein eigentlich selbstverständlicher Grundsatz der Gesundheitsökonomie. In allen großen systematischen Übersichtsarbeiten der höchsten Evidenzklasse zeigt sich, dass sich für die Homöopathie keine belastbaren Belege (reliable evidence) für eine spezifische Wirksamkeit finden. Auch Homöopathie-Forschende selbst kommen zu keinem anderen Ergebnis, selbst dann nicht, wenn die ,Königsdisziplin‘ der Homöopathie, die individualisierte Anwendung, untersucht wird. 2014 schreibt z.B. Robert Mathie, ein renommierter Forscher am englischen Homeopathy Research Institute: ,Die in der Homöopathie individuell verschiedenen Mittel zeigen _möglicherweise_ kleine spezifische Behandlungseffekte… . Die generell geringe oder zweifelhafte Qualität der Nachweise verlangt, diese Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren.‘ Das ist natürlich weit weg von sicherer Evidenz für die homöopathische Heilmethode – und ebenso davon, eine Kassenerstattung zu rechtfertigen. 

Die wissenschaftliche Einordnung der Homöopathie spricht nicht nur gegen die Erstattung durch Krankenkassen, sondern überhaupt gegen einen Platz in der Medizin. Dem gegenüber steht der ungerechtfertigte Status, den die Homöopathie unweigerlich erhält, wenn Krankenkassen für sie erstatten, von denen doch jede*r Bürger*in weiß, dass sie knapp bei Kasse sind. Wir sehen in der Erstattung also auch ein falsches Signal. Sicherlich mögen Globuli, da sie ja viel zu wenig, sehr oft gar keinen Wirkstoff enthalten, nicht direkt zu einem Schaden führen. Der Punkt ist jedoch ein anderer: Vertrauen Menschen auf die Homöopathie, birgt eine dadurch verzögerte oder unterlassene wirklich wirksame Therapie ein erhebliches Schadenspotenzial, das schwer zu quantifizieren ist, da es durchweg im „Dunkelfeld“ verbleibt. Selbst der Weltärztebund warnt in einer Deklaration aus dem Jahre 2020 ausdrücklich vor diesem Gefahrenpotenzial einer „Toleranz“ gegenüber Mitteln und Methoden ohne Evidenz. Dieses Problem folgt einerseits aus der Erstattung durch Krankenkassen und wird gleichzeitig dadurch kaschiert, ja gar verdrängt.

Sind also möglicherweise in der ganzen Diskussion die Kosten für die Homöopathie, die gesetzliche Krankenkassen übernehmen, gar nicht das eigentliche Problem? In der Tat erlebt man oft, dass das ganze Homöopathiethema mit dem „geringen Anteil an den Gesundheitsausgaben“ marginalisiert werden soll. Wir sehen dies kritischer und sehen im Vordergrund eben den ungerechtfertigten Status, den Anschein wirksamer Medizin, den die Homöopathie vor allem durch die Kassenerstattung erhält, und der Patient*innen dazu bringen mag, ihr über Gebühr zu vertrauen und selbst bei schwereren Erkrankungen auf Globuli zurückzugreifen. Die Folgekosten, die aus verzögerten oder unterlassenen medizinisch sinnvollen Therapien entstehen mögen, sind nicht konkret zu berechnen. In der gesamten Betrachtung darf auch dieser Gedanke nicht fehlen. So betrachtet, erweisen sich die Konzessionen an die „Beliebtheit“ der Homöopathie letztlich aus gesundheitspolitischer Sicht als kontraproduktiv.

In England und in Frankreich hat man gesehen, dass nach dem schrittweisen Ende der Erstattung für homöopathische Arzneimittel durch das öffentliche Gesundheitssystem die Nachfrage nach der Homöopathie insgesamt stark gesunken ist. Offenbar trägt ein solches Signal auch zur Aufklärung über die wirklichen Fakten zur Homöopathie und damit zur Gesundheitskompetenz der Menschen bei.

Selbstverständlich sind wir uns klar darüber, dass die momentane Diskussion über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen nicht annähernd von der Homöopathie-Frage abhängt. Aber wenn wir es bei einer eindeutigen Evidenzlage wie der der Homöopathie nicht schaffen, die fehlgerichtete Erstattung zu beenden, wie soll es uns bei anderen, weitaus schwieriger zu beurteilenden Mitteln und Verfahren gelingen und wie wollen wir es dann überhaupt schaffen, eine vernünftige Grenze zu ziehen, die unser einzigartiges Solidarsystem stützt und schützt? Wobei diese Grenze ja gegeben ist: es sind die Kritierien der evidenzbasierten Medizin, der nachgewiesenen Wirksamkeit.

Aus unserer Sicht ist es nicht die Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung, Pseudomedizin als Wettbewerbsinstrument zu nutzen, sondern wissenschaftliche Standards und Patient*innenwohl gleichermaßen zu gewährleisten. Nichts anderes sollte das Ziel einer nachhaltigen Gesundheitspolitik insgesamt sein.

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