Replik auf „Testbiotech: Unterschiede: Neue Gentechnik und Mutagenese“
August 2023, von PD Dr. rer. nat. habil. Dorothea Kaufmann
Am 25. Juli 2023 hat Testbiotech einen Text zu den Unterschieden zwischen Neuer Gentechnik und Mutagenese vorgelegt. Dieser enthält zahlreiche Fehler, die hiermit klargestellt werden.
„Mutagenese“ beschreibt ganz allgemein die Erzeugung von Mutationen im Erbgut und gibt als Begriff keinerlei Aufschluss darüber, wie diese Mutationen zustande gekommen sind. Aktuell werden unter diesem Begriff „klassische Züchtungsmethoden“ wie Kreuzung, radioaktive Bestrahlung oder der Einsatz von Chemikalien, die Mutationen auslösen, summiert. Alle diese Methoden sind zufällig und nicht zielgerichtet, die Zielsequenz im Erbgut ist nicht festgelegt. Hingegen sind die neuen gentechnischen Methoden (NGT) wie CRISPR/Cas präzise und gerichtet, man weiß, was geändert werden soll und kann dies auch kontrollieren.
Ob Testbiotech dieser Unterschied tatsächlich bekannt ist, darf bezweifelt werden, denn der Text strotzt nur so vor schweren wissenschaftlichen Fehlern. Besonders pikant ist dies, da Testbiotech gerade mit einer Mitmachaktion unter dem Titel „Wir kennen den Unterschied“ wirbt.
„Die Neue Gentechnik wird in der Regel dazu eingesetzt, um genetische Veränderungen zu bewirken, die über das hinausgehen, was aus konventioneller Zucht bekannt ist.“ – Falsch. Die Veränderungen mittels der NGT sind präziser, d.h. sie werden gezielt an einem vorher definierten Ort der DNA vorgenommen. Dies führt zu weniger zufälligen Mutationen, wie sie z.B. bei klassischen Züchtungsverfahren wie der radioaktiven Bestrahlung vorkommen. Richtig wäre: NGT kann Veränderungen bewirken, die präziser sind als die bisherigen Züchtungsmethoden.
„Dafür müssen keine zusätzlichen Gene eingeführt werden. Anders als die konventionelle Züchtung (einschließlich der Zufallsmutagenese) können NGTs die Beschränkungen der natürlichen Genomorganisation, wie sie von der Evolution hervorgebracht wurden, überschreiten.“ – Falsch. Es gibt keine „Beschränkungen der natürlichen Genomorganisation“. Prinzipiell kann jede Base der DNA mutieren, was dann ggf. zu einer Mutation in einem Gen führen kann.
„Dazu gehören Mechanismen zur Aufrechterhaltung und/oder Wiederherstellung von Genfunktionen wie Reparaturprozesse, Genkopien und die Kopplung von Genen.“ – Falsch. Solche Gene können vielmehr durch Zufallsmutationen beeinträchtigt oder zerstört werden. Das zeigen Mutanten aus der Strahlungsmutagenese bei der große Genombereiche verloren, verdoppelt und im Kontext der Chromosomen umgeordnet werden können. Solche großen Veränderungen können unkontrolliert die Expression vieler Gene gleichzeitig beeinflussen. Hinzu kommt, dass DNA-Reparaturmechanismen nicht fehlerfrei sind, was zu potenziell übertragbaren Mutationsveränderungen führt. Die Fehleranfälligkeit einiger DNA-Reparaturmechanismen erhöht jedoch die genetische Vielfalt und Variabilität der Populationen und trägt somit zur Evolution der Pflanzengenome bei. Fehlerhaft ist diese Aussage auch insofern, als beim Genome Editing solche Gene gezielt von Veränderungen ausgespart werden können. Zuchtziele, die Reparaturprozesse oder essentiell wichtige Gene gezielt zerstören, wären kontraproduktiv.
„Insbesondere die ‚Gen-Schere‘ CRISPR/Cas macht das Erbgut, im Vergleich zu früheren Methoden der Züchtung, in größerem Umfang für Veränderungen verfügbar.“ – Falsch. Es ist richtig, dass verschiedene Bereiche im Genom mit verschiedener Häufigkeit mutieren. Das bedeutet nicht, dass es Bereiche gibt, die vollständig vor Mutationen geschützt sind: Es gibt keine „geschützten Bereiche im Genom“. Diese Aussage basiert auf einer Fehlinterpretation der Ergebnisse der Studie von Monroe et al., hierzu der Senior-Autor der Studie, Prof. Dr. Detlef Weigel: „Es stimmt, dass die lokale Mutationsrate von Basenkomposition etc. abhängt, aber genomische Bereiche, die “immun” gegen Mutationen sind, gibt es nicht. Und Konservierung hat mehr mit Selektion zu tun.“
„Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer größeren ‚Eingriffstiefe‘.“ – Falsch. Dies ist ein Phantasiebegriff, der nicht wissenschaftlich untermauert ist und auch in der tatsächlichen Wissenschaft nicht genutzt wird.
Auch in der Abbildung und deren Beschriftung sind massive Fehler: Dort ist in Grün der „zufällige Einbau der Genschere in das Genom der Pflanze“ gezeigt – die Abbildung zeigt die Transgenese, NICHT die Mutagenese. Der EU-Vorschlag bezieht sich ausdrücklich nicht auf Pflanzen, die mittels Transgenese gezüchtet werden. Stattdessen konzentrieren sich Züchter*innen auf Pflanzen ohne eingebaute Genschere, weil Pflanzen mit einem eingebauten Fremdgen automatisch unter die strenge Regulierung des Gentechnikgesetzes fallen würden. Auch in der Beschriftung findet sich ein weiterer Fehler: „Beispiel 3 zeigt, wie die Genschere mehrere (hier gleich vier) Kopien eines Gens gleichzeitig verändert, was mittels konventioneller Züchtung sehr unwahrscheinlich wäre.“ – Dies ist prinzipiell auch in der konventionellen Züchtung möglich, jedoch wird man hier mühsam versuchen, einzelne Mutationen in einer Genfamilie zu kombinieren, um einen optimalen Effekt zu erhalten.
Ein tatsächlich informatives und vor allem wissenschaftlich korrektes Schaubild findet sich hier.
„Zudem kommt es durch die Verfahren der Gentechnik auch zu unbeabsichtigten DNA-Veränderungen, die sich in ihrem Muster, dem Ort, dem Ergebnis und den biologischen Wirkungen von denen der konventionellen Zucht unterscheiden können.“
Diese unbeabsichtigten DNA-Veränderungen nennen sich Off-Target-Effekte. Hierzu ein kleiner Exkurs: Die natürliche Mutationsrate beträgt bei vielen Pflanzen etwa eine Mutation pro Generation (Austausch von 7 × 10−9 Basenpaaren pro Locus pro Generation in 1,25 x 108 Basenpaaren). Allein auf einem ein Hektar großen Weizenfeld entstehen somit pro Jahr 20 Milliarden natürliche Mutationen. Dies zeigt, dass die Menge an Mutationen an sich nichts ist, wovor man sich fürchten muss. Bei den „klassischen Züchtungsmethoden“ wird die Mutationsrate willentlich erhöht, z.B. durch mutagene Chemikalien. Schlussendlich ist jede Mutation, die so zustande kommt, eine Off-Target-Mutation, da kein Ziel definiert ist. Mittlerweile ist bekannt, dass in Pflanzen, die mittels CRISPR/Cas gezüchtet wurden, weniger Off-Target-Effekte auftreten als in denen, die mit „klassischen Züchtungsmethoden“ ohne Mutagenese entstanden sind. In einer Studie an Reis, die das Auftreten von Off-target Effekten bei verschiedenen Mutagenese-Methoden miteinander verglich, wurde festgestellt, dass die größte Häufigkeit von Mutationen durch Gewebekulturen verursacht wurden, wobei bis zu 248 einzelne Mutationen pro Pflanze gefunden wurden. Gewebekulturen sind auch in der konventionellen Pflanzenzucht eine häufig angewandte Methode. Außerdem wurde auch festgestellt, dass es nicht möglich ist, Off-Target-Effekte eindeutig der verwendeten Technik zuzuschreiben.
Weiter geht es im Text: „Dafür gibt es mehrere Gründe: In den meisten Fällen wird die DNA der Gen-Schere (CRISPR/Cas) mit Zufallsverfahren in das Erbgut der Pflanzen eingeführt.“ – Falsch. „Die DNA der Genschere“, also das Protein Cas9, wird in der Grundlagenforschung manchmal noch als Transgen eingeführt – nicht aber bei landwirtschaftlichen Produkten. Hier wird die CRISP/Cas9 nicht dauerhaft (wissenschaftlich: transient) in die Pflanzenzellen eingebracht. Das Endprodukt enthält keine Spuren der DNA der Genschere mehr. CRISPR/Cas ist eben KEIN Zufall, sondern präzise, da die Guide-RNA präzise die Ziel-Sequenz findet und dann genau an diese Stelle die Ziel-DNA eingesetzt wird, die ebenfalls vorher entsprechend synthetisiert wird und somit bekannt ist. Der aktuelle EU-Vorschlag sieht vor, dass diese nicht länger als 20 Basenpaare sein darf, um als NGT-Produkt zu gelten. Der molekulare Mechanismus – Doppelstrangbruch und anschließende Reparatur des Strangs durch die natürlichen zellulären Mechanismen der Pflanzen- ist der gleiche wie bei jeder natürlichen Mutation. Der Unterschied: Beim Genome Editing sind der Ort und die betroffenen DNA-Bausteine genau bekannt, bei der Mutagenese nicht.
„Dafür werden die Verfahren der ‚alten Gentechnik‘ eingesetzt, die häufig zu unbeabsichtigten Veränderungen des Erbguts und der Insertion von mehreren DNA Fragmenten führen, die oft unentdeckt bleiben.“ – Falsch. CRISPR/Cas ist an sich eine grundsätzlich neue Technik, die mit den Verfahren der „alten Gentechnik“ nicht vergleichbar ist. Außerdem steht aktuell die Integration von Cas9 ins Genom überhaupt nicht zur Debatte. Entweder ist dieser Satz einfach „nur“ falsch oder bewusst irreführend.
„Danach wird die Gen-Schere in den Zellen gebildet und schneidet dann in den eigentlichen Zielregionen.“ – Falsch. Das CRIPSR/Cas-System wird in Gesamtheit in die Zelle eingebracht und keinesfalls in den Zellen „gebildet“. Das Gen für die Genschere wird NICHT in das Genom eingebracht!
„Dabei kann es zu weiteren unbeabsichtigten genetischen Veränderungen kommen, wie der Verwechslung von Zielsequenzen und der Auslösung von chaotischen Zuständen im Erbgut (Chromothripsis).“ – Falsch. Die Zielsequenz wird präzise erkannt. Chromothipsis kann grundsätzlich bei jedem Doppelstrangbruch auftreten, egal, ob natürlich oder technisch herbeigeführt. Gerade bei der konventionellen Strahlungsmutagenese treten regelmäßig große strukturelle Veränderungen des Genoms auf . Mit NGT können mit neuen Methoden Dopppelstrangbrüche sogar vollständig vermieden werden.
„Während es möglich ist, mit der Gen-Schere bestimmte Stellen im Erbgut anzusteuern, ist es also nicht möglich, mit ausreichender Gewissheit die Folgen dieses Eingriffs für das Erbgut, die Pflanzen und die Umwelt hinreichend vorherzusagen oder zu kontrollieren.“ – Falsch. Dies ist mit der Genschere weitaus eher möglich, als mit konventionellen Züchtungsmethoden. Produkte, die mit der Genschere hergestellt wurden, werden, im Gegensatz zu herkömmlichen neuen Sorten, sorgfältig auf eventuelle zusätzliche Mutationen untersucht.
„Werden die Pflanzen nicht genau untersucht, können die unbeabsichtigten genetischen Veränderungen überdauern und bei nachfolgenden Kreuzungen in den Populationen akkumulieren.“ – Auch dies ist grundsätzlich bei jeder Mutation möglich, unabhängig davon, wie sie zustande gekommen ist.
„Risiken für Mensch und Umwelt sind nicht auszuschließen.“ – Dies gilt für alle Züchtungsmethoden.
„In jedem Fall ist also eine detaillierte Analyse und Risikobewertung notwendig, bevor die Sicherheit der Pflanzen beurteilt werden kann.“ – 30 Jahre Forschung, hunderte Studien und Stellungnahmen aller relevanten Wissenschaftsverbände kommen zu dem Schluss, dass von Pflanzen, die mit den neuen gentechnischen Verfahren gezüchtet wurden, keine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt ausgeht. Darüber hinaus begrüßen die DFG und Leopoldina den EU-Vorschlag zum Umgang mit neuen Gentechnikmethoden.
Auch in der Tabelle finden sich zahlreiche Fehler und Falschbehauptungen:
Tabelle Zielsetzung: Es geht bei der Züchtung primär darum, Sorten zu entwickeln, die für die Ernährung optimiert sind. Es geht nicht darum, generell die genetische Vielfalt zu erhöhen. Das ist ein positives Nebenprodukt, das bei konventioneller Züchtung ebenso anfällt wie bei NGT. Die Sortenvielfalt hat sich durch Züchtung in den letzten Jahrzehnten gewaltig erhöht und das wird auch bei NGT so bleiben.
Tabelle Genomorganisation und Epigenetik: Siehe weiter oben im Text; Es ist richtig, dass verschiedene Bereiche im Genom mit verschiedener Häufigkeit mutieren. Das bedeutet nicht, dass es Bereiche gibt, die vollständig vor Mutationen geschützt sind: Es gibt keine „geschützten Bereiche im Genom“. Bei der konventionellen Mutagenese durch Strahlung oder Chemikalien wird der „natürliche Schutz“ so weit umgangen, dass 70 % bis 90 % der behandelten Organismen tot sind.
Tabelle Muster der Veränderung im Ergbut: Durch Multiplexing können mehrere Gene gleichzeitig „ins Visier“ genommen werden. Dies wird gezielt getan. Bei konventioneller Mutagenese werden ungezielt deutlich mehr Gene verändert. Welche das sind und welche Auswirkungen die Veränderungen haben, weiß man nicht. Sie müssen vor einer Markteinführung nicht geprüft werden. Ergebnisse wie beim „Multiplexing“ können auch durch konventionelle Zucht erreicht werden. Sie erfordern aber Jahrzehnte, um die gewünschten Eigenschaften verschiedener Sorten zu kombinieren, was durch NGT in wenigen Jahren möglich ist.
Tabelle Reparaturprozesse im Erbgut: „Knock-Outs“ sind auch in der konventionellen Züchtung häufige und gewünschte Ereignisse. Man muss nur sehr viel länger suchen, bis man sie findet.
Tabelle Anzahl und Ort der genetischen Veränderungen: Bei der Zufallsmutagenese ist die Anzahl der genetischen Veränderungen größer. Welche Auswirkungen sie haben und ob sie für Mensch und Umwelt Risiken darstellen, weiß man nicht, da es nie eine Risikoanalyse gab. Nach Sortenrecht werden neue Sorten als Ganzes bereits einer „Unbedenklichkeitsanalyse“ unterzogen. Nicht jedoch die Auswirkungen einzelner mutierter Gene. Dass gezielte Veränderungen gewünschte Genkombinationen einfacher erbringen als ungezielte Veränderungen, ist trivial. Bisher wurden die Kombinationen durch mühsame Kreuzungen über Jahrzehnte hergestellt. Dass kleine Veränderungen große Wirkungen zeigen können, ist ebenso trivial und ist auch bei der Zufallsmutagenese der Fall.
Tabelle Unterscheidbarkeit von natürlichen Prozessen: Die gleichzeitige Ausschaltung mehrerer Genkopien wurde auch bei konventioneller Mutagenese beobachtet. So ist beispielsweise die Zufalls-Mutagenese unkontrollierbar und hat oft umfangreiche Effekte. So kam es in einem Fall zu einer Verdopplung eines Gen-Abschnitts, gleichzeitig fand eine Umkehrung der DNA statt und zusätzlich wurde sie an einen anderen Promotor gekoppelt. Resultat war vermutlich die Ausschaltung einer Genfamilie. Das Produkt, eine Sonnenblume mit höherem Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, kam auf den Markt, ohne dass bekannt war, wie dieser unerwartete Phänotyp entstanden war.
Fazit: Das Dokument von Testbiotech hat nichts mit Wissenschaft zu tun, da es fast ausschließlich aus Fehlern, nicht zutreffenden Kausalitäten und grob irreführenden Formulierungen besteht. Somit sollte es keinesfalls zur Information oder gar politischen Meinungsbildung genutzt werden.
Herzlichen Dank an Prof. Dr. Wolfgang Nellen, der die Tabelle analysiert hat, sowie Dr. Kevin Roth und Dr. Ludger Weß, die den Text gegengelesen und ergänzt haben.
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